Urs Stahel
Körper, Bilder, Macht und Gewalt
Der Körper als verlässlicher, unersetzbarer Hort des Seins, meist nur natürlichen Schwankungen und Entwicklungen ausgesetzt, wird umdefiniert , neu bestimmt, wird geritzt, gepusht, gespritzt. Er magert ab, richtet sich aus , fügt sich den neuen Bildern. Seine Integrität wird verletzt. Überformt und durchdrungen von vielen kulturellen Körperbildern, von neuen, teils widersprüchlichen Identitäten, wandelt er sich vom Haus zum Werkzeug, zum Instrument, das neu geschliffen, neu poliert, das trainiert und optimiert wird. Mit radikaler Körperaskese (Zweiunddreißig Kilo heißt die Fotoserie von Ivonne Thein), mit hormonellen und chirurgischen Eingriffen wird er den neuen Erfordernissen, dem sich wandelnden, von kulturellen Vorstellungen, von Labels und Brands geprägten Selbst-Bild angepasst. Shifting identities erzeugen shifting bodies. Die Linie zwischen Verschönern und Verstümmeln, zwischen Anpassen und Zerstören ist dabei sehr dünn, die Grenzen zur Verstörung, zur Selbstauslöschung sind schmal und durchlässig. Neue kulturelle Vorstellungen lassen bedeutende Eingriffe zu, irritieren das Selbstverständnis, die Selbstverständlichkeit des Körpers bis zu seiner Zerstörung.
aus der Einleitung Körper, Bilder, Macht und Gewalt, Dark Side II – Fotografische Macht und fotografierte
Gewalt, Krankheit und Tod, Hrsg. Fotomuseum Winterthur, Steidl, Göttingen 2009